Der ADAC ist weit davon entfernt, seine Mitglieder und die Öffentlichkeit objektiv zu informieren. Anstatt die Skepsis hinsichtlich der Langstreckentauglichkeit von E-Autos ernstzunehmen, lässt er sich in eine Reklamekampagne einspannen und greift zu Rechentricks.
In einem Beitrag vom 3. Juli 2024 wird behauptet, es sei möglich, mit einem E-Auto eines koreanischen Herstellers „mit einer 20-minütigen Ladepause von Kiel bis zu den Alpen komplett durch Deutschland zu fahren“. *
Dazu wurde eine „Gesamtreichweite mit einem Ladestopp“ definiert, die sich aus zwei Reichweiten zusammensetzt: Einer „Reichweite mit voller Batterie“ plus der „gewonnenen Reichweite durch 20 Minuten Laden“.
Da man auf langen Fahrten regelmäßig Pausen einlegen sollte, ist diese Betrachtung durchaus eine Überlegung wert. Der ADAC kommt auf diese Weise zu beruhigenden Gesamt-Reichweiten. Hier drei Beispiele:
Hyuandai Ioniq 6: 931 km
Polestar 2 Long Range: 801 km
VW ID.7 Pro: 711 km
Damit soll wohl etwa diese Botschaft vermittelt werden: „Wem das nicht reicht, dem ist wirklich nicht zu helfen. Die Reichweitenangst ist irrational.“
Doch sind E-Autos tatsächlich schon uneingeschränkt langstreckentauglich?
Schaut man etwas genauer hin, kommen Zweifel auf. Die Reichweitenberechnung des ADAC ist an mehreren Stellen fragwürdig:
1.) Der Testzyklus ist für Langstrecken ungeeignet
Der ADAC errechnet eine sogenannte „ADAC Ecotest Reichweite“ und wendet dazu einen selbst definierten Elektrofahrzeuge-Zyklus an (siehe dort, Seite 3). Dessen Ablauf ist etwas kurios:
- Meist pendelt die Geschwindigkeit um 40 km/h.
- Auf weniger als 20 % der Strecke liegt das Tempo bei über 100 km/h.
- Geschwindigkeiten um 120 km/h machen einen noch kleineren Anteil aus. Schneller als 130 km/h wird gar nicht gefahren.
Was hat das mit realen Autobahnfahrten zu tun?
2.) Die „Reichweite mit vollem Akku“ ist durchweg um etwa ein Drittel zu hoch angesetzt
Der ADAC geht davon aus, dass der Akku vor Fahrtantritt voll geladen und bis zum ersten Ladestopp auf 10 % entladen wird. Das ist aus mehreren Gründen fragwürdig:
- Akkus sind sehr teure Fahrzeugkomponenten und sollten geschont werden. Zu tiefes Entladen schadet ihnen ebenso wie das Vollladen. Daher wird allgemein empfohlen, einen Ladestand von mindestens 20 und höchstens 80 % einzuhalten. Somit dürfen in der Regel nur ca. 60 % der Kapazität genutzt werden.
In Ausnahmefällen wird man diese Grenzen natürlich doch mal überschreiten. Das kann aber keine Grundlage für die tägliche Routenplanung sein. Diese wird in der Regel die nötigen Reserven vorsehen und sich an der geringeren Reichweite orientieren.
Die obige Annahme des ADAC zur Reichweitenermittlung ist daher unseriös.
- 10 % Füllstand bedeuten auch bei größeren E-Autos eine Restreichweite von nur noch 50 bis 60 km. Spätestens dann dürfte praktisch jeder Fahrer eine gewisse Reichweitenangst verspüren. In der Regel wird er genau das vermeiden wollen und schon aus diesem Grund deutlich früher eine Ladestation anfahren.
- Oft wird es gar nicht möglich sein, mit 10 % Füllstand an einer Ladestation anzukommen. Und falls doch, möchte man vielleicht aus anderen Gründen nicht dort pausieren, muss es nun aber aus Rücksicht auf das Fahrzeug tun.
(Solche Einschränkungen der eigenen Handlungsfreiheit stellen übrigens eine objektive Minderung des Gebrauchswerts dar.)
3.) Auch die „gewonnene Reichweite durch 20 Minuten Laden“ ist optimistisch und in einigen Fällen eindeutig zu hoch angesetzt
Welche Reichweite sich in 20 min nachladen lässt, hängt nicht nur von der maximalen Ladeleistung des Autos ab. Was nützt es etwa dem Hyuandai Ioniq 6, mit bis zu 240 kW laden zu können, wenn die Ladesäule nur 150 kW anbietet? Ladestationen mit High-Power-Ladesäulen wiederum sind häufig außerstande, mehrere Fahrzeugen gleichzeitig mit hohen Ladeleistungen zu versorgen.
Der ADAC hat sich noch einen weiteren Fehler erlaubt: Die „gewonnene Reichweite durch 20 Minuten Laden“ ist in mehreren Fällen größer als die maximale Reichweite bei Einhaltung eines Ladestand-Bereichs von 20 bis 80 % (diese Fälle sind in der folgenden Tabelle rot markiert). Die Lebensdauer des Akkus verkürzende Betriebszustände können auch für den zweiten Teil der Reise keine ernstzunehmende Option sein.
Die Korrektur dieser Fehler lässt die „Gesamt-Reichweite mit einem Ladestopp“ deutlich sinken:

(Diese Liste enthält nur die Top 20. Kleinere E-Autos mit kleineren Akkus haben weitaus kürzere Reichweiten; ein MG Marvel R Performance z.B. nur 414 km – und dies lt. ADAC-Angaben sowie incl. einem 20-minütigen Ladestopp!)
Die vom ADAC angegebenen Werte erweisen sich (sogar unter dem Vorbehalt des für Langstrecken ungeeigneten Testzyklus) als um 25 bis 39 % überhöht.
Die Behauptung einer uneingeschränkten Langstreckentauglichkeit von E-Autos ist damit vom ADAC selbst widerlegt worden.
Dieser spricht sich in eigenen Dokumenten sowohl für die E-Mobilität als auch für Technologieoffenheit aus. Ein klare Präferenz für eine Antriebsart ist nicht zu erkennen.
Warum versucht der ADAC dennoch, seine Mitglieder mit manipulierten Reichweitenberechnungen und daraus abgeleiteten falschen Schlussfolgerungen zum Kauf von E-Autos zu verleiten?
Nachtrag:
Natürlich kann man grundsätzlich auch mit Elektroautos lange Strecken zurücklegen. Es ist jedoch umständlicher, und der Zeitaufwand ist deutlich höher. Zudem ist der Fahrer gezwungen, nicht nur seine Pausenzeiten, sondern auch seine Pausengestaltung an den Bedürfnissen seines E-Autos auszurichten. Einfach gemütlich Kaffee trinken und sich unterhalten ist nicht möglich. Er muss ständig den Ladezustand im Auge behalten. Vollladungen sollte er vermeiden. Und wenn der Akku ausreichend voll ist, sollte er die Ladesäule sogleich wieder freigeben, um andere nicht unnötig warten zu lassen oder um Blockiergebühren zu vermeiden. Das kann durchaus unangenehm enden, denn wenn auf einer Raststätte Hochbetrieb herrscht, kann man sich nicht darauf verlassen, problemlos einen Parkplatz zu finden.
Viele E-Auto-Fahrer sind stolz darauf, diese alltäglichen Probleme scheinbar mühelos zu bewältigen – vor allem dann, wenn sie sich faktenwidrig einbilden, auf diese Weise einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen zu leisten.
Andere schütteln darüber nur ratlos den Kopf.
Kai Ruhsert, 6. Juli 2024
- Diese Formulierung findet sich nicht mehr in der Fassung des ADAC-Beitrags vom 25. August 2024. Der ADAC hält aber weiterhin an den unrealistischen Reichweitenangaben fest.
Bildquelle: Von Matti Blume – Eigenes Werk, CC BY-SA, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=137803052
Grafik: Eigenes Werk

