Von Dr. Peter Hoberg
- Einführung
Aufgrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sind die Energiepreise kräftig gestiegen, was für fast alle Energiearten gilt, weil in vielen Bereichen Substitutionsmöglichkeiten bestehen. Dazu kommt die katastrophale Energiepolitik der letzten Jahre, welche eine extreme Abhängigkeit von Diktaturen in Kauf genommen hat. Und das, obwohl nach der gewaltsamen Annexion der Krim im Jahre 2014 allen klar geworden sein müsste, dass Verträge von Russland im Ernstfall nicht eingehalten werden und die Energielieferungen zu Erpressungen verwendet werden würden.
Leider knüpft die neue Regierung seit 2022 nahtlos an die Fehlleistungen ihrer Vorgängerin an, wie das Theater um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zeigt.
Die Preisbildung am Strommarkt geschieht über den Merit Order Ansatz. Er führt in bestimmten Situationen zu extremen Gewinnen. Auf der Verbraucherseite kommt es zu großen Strompreissteigerungen, wodurch vor allen Dingen finanzschwache Haushalte und Unternehmen in die Insolvenz getrieben werden können. Denn jede Erhöhung der Stromnachfrage induziert in der gegenwärtigen Situation sehr hohe Preissteigerungen, weil die Netzbetreiber dann auch die extrem teuren Gaskraftwerke einsetzen müssen. Es resultieren nicht selten Verzehnfachungen der Strompreise an der Börse EEX in Leipzig.
Nutznießer sind alle Anbieter, die weniger von Kostensteigerungen betroffen sind und die somit zurzeit Übergewinne einfahren. Vor allen Dingen die Wind- und Solaranbieter profitieren, und das gleich doppelt. Nach unten sind sie durch den Staat über 20 Jahre abgesichert und können jetzt Extragewinne einfahren. Im Gegensatz zur deutschen Regierung geht z. B. die englische Regierung gegen diesen Missstand vor. Auch in Frankreich hat der Staat reagiert und schöpft Erlöse ab, die über den Mindestvergütungen liegen. Denn es kann nicht sein, dass die Anbieter Mindestpreise garantiert bekommen, aber voll kassieren können, wenn die Preise darüber liegen.
In Deutschland freuen sich auch die Betreiber von Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken über die extrem hohen Erlöse. Der Verbraucher hingegen muss für die schweren Fehler zahlen.
2 Preisbildung über Merit Order
Das Grundprinzip des Merit Order Ansatzes ist einleuchtend. Die Kraftwerke werden in der Reihenfolge ihrer steigenden Grenzkosten eingeplant. Die Grenzkosten geben an, wie teuer es ist, eine zusätzliche Kilowattstunde zu erzeugen. Sie haben somit die Einheit €/kWh.1 Dahinter steht der Gedanke, dass die Fixkosten nicht zu beeinflussen sind und somit zumindest kurzfristig keine Entscheidungsrelevanz aufweisen.
Dieser Ansatz hat auch nach dem Aufkommen der sogenannten erneuerbaren Energien funktioniert. Somit wurden zunächst die Kraftwerke auf Basis der erneuerbaren Energien eingeplant, weil nach der kostspieligen Errichtung nur noch geringe Kosten anfallen. Die Grenzkosten waren und sind sehr gering, weil keine Brennstoffe benötigt werden.
Danach folgten die Atomkraftwerke. Dies war die Folge eines Konstruktionsfehlers im Konzept, weil die Entsorgungs- und Risikokosten nicht vollständig in den Grenzkosten berücksichtigt wurden, obwohl diese externen Kosten mit jeder Kilowattstunde stiegen und steigen.
Im Anschluss kamen die fossilen Kraftwerke. Auch bei ihnen wurden lange Zeit die Umweltprobleme nicht vollständig erfasst. Erst mit dem europäischen CO2-ETS wurden die fossilen Kraftwerke belastet, um zumindest einen Teil der negativen externen Effekte auszugleichen.
Nachdem der Preis durch politische Fehler (zu viele Gratiszertifikate) lange Zeit unerheblich war und damit die erwünschte Steuerungswirkung weitgehend verfehlte, ist er seit 2018 im steten Wachstum. Erst wurde die Marke von 20 €/t CO2 überschritten, und in den Folgejahren ging es weiter aufwärts. Teilweise wurden sogar fast 100 €/t erreicht. Im Jahr 2022 schwankten die Preise zwischen 70 und 100 €/t. Das hat die Grenzkosten der fossilen Kraftwerke wesentlich erhöht. Trotzdem mussten sie bis zur russischen Aggression angefahren werden, weil ansonsten ein Blackout droht.
Die fossilen Kraftwerke laufen seit Herbst 2022 fast durchgängig, weil der Anteil des Stroms (nicht der Gesamtenergie, wo es nur ca. 7% sind) aus erneuerbaren Energien kaum die 50%-Grenze überschreitet. Problematisch ist besonders die Spannweite der Anteile. An einem windigen Sonntagmittag im Sommer können die erneuerbaren Energien fast vollständig übernehmen. In der Dunkelflaute (windstille Winternacht) kann der Anteil fast vernachlässigt werden.
Die geringe Menge an verfügbarem erneuerbaren Strom ist doppelt schlimm, weil bei ihnen deutlich geringere externe Kosten wie z. B. für die Luftverschmutzung anfallen. Die Kosten der CO2-ETS sind für die fossilen Kraftwerke in diesem Punkt noch zu niedrig.
Aber aufgrund ihrer geringen Grenzkosten werden alle Mengen aus erneuerbaren Quellen – auch unabhängig von der gesetzlichen Abnahmeverpflichtung – eingesetzt. Durch die extremen Preissteigerungen bei Gas liegen die Grenzkosten der Gaskraftwerke inzwischen deutlich über denen der kohlebasierten Kraftwerke. Bereits 2021 musste die zusätzliche Strommenge durch fossile Kraftwerke abgedeckt werden, wobei seinerzeit zunächst die Gaskraftwerke produziert haben. Diese Reihenfolge hat sich jetzt umgedreht, was für die Umwelt nicht gut ist. Denn die Kohlkraftwerke emittieren noch mehr CO2 als die Gaskraftwerke.
Die Preislawine im Merit Order-Verfahren wird dadurch ausgelöst, dass die Grenzkosten der letzten noch erzeugten Kilowattstunde als Preis für alle eingesetzten Kraftwerke bestimmt werden. Und dies gilt auch, wenn die letzte angeforderte Kilowattstunde des teuersten Anbieters 50 Cents kostet und die eigenen Grenzkosten nahe null bzw. unter 10 Cents pro kWh betragen. Die riesige Differenz zu den eigenen Grenzkosten nutzen die anderen Kraftwerksbetreiber dazu aus, die nicht variablen Kosten abzudecken und danach zur Erzielung von – zurzeit extremen – Überschüssen.
Die Verlierer sind die Verbraucher, die sehr hohe Strompreise bezahlen müssen, sobald die Festverträge ausgelaufen sind. Aber selbst der hilft nicht immer, wenn der Versorger sich nicht abgesichert hat und pleite geht.
Mit Ablauf der Festpreise – meist zum Jahresende – werden viele Verbraucher einen Schock erleiden, was per sofort schon für solche Verbraucher gilt, die z. B. nach einem Umzug einen neuen Vertrag abschließen müssen. Aber auch Unternehmen erleben zurzeit böse Überraschungen, wenn sie sich nicht rechtzeitig abgesichert haben.
3 Einfluss von Angebotsänderungen
Bevor die Änderungen diskutiert werden können, soll die Ausgangssituation mittels einer Graphik dargestellt werden. Wie oben beschrieben, wird im Merit Order Verfahren auf Basis der Grenzkosten die Einteilung der verschiedenen Kraftwerke vorgenommen. Auf der horizontalen Achse ist der Strombedarf abgetragen. Im Beispiel beträgt der Bedarf 65 GW, der sich aber minütlich ändert und häufig zwischen 50 und 80 GW liegt.

Abb. 1: Strompreisermittlung im Merit Order Verfahren (Quelle: Riffreporter 30.8.2022)
Der Bedarf wird gedeckt, indem zunächst alle Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen (onshore) angefordert werden, weil bei ihrem Betrieb fast keine zusätzlichen Kosten anfallen (Grenzkosten nahe Null).
Wie das Prinzip-Schaubild der Abb. 1 zeigt, folgen die Wasserkraftwerke, welche aufgrund ihrer Steuerbarkeit extrem wertvoll sind. Danach werden die Windkraftwerke auf hoher See (offshore) angefordert. Auch die Müllkraftwerke haben sehr geringe Grenzkosten, wobei sie je nach Beschaffenheit des Abfalls z. B. mit Öl zuheizen müssen. Als nächstes kommen die problematischen Atomkraftwerke an die Reihe. Problematisch ist dies deswegen, weil – wie oben beschrieben – die Kosten nicht vollständig ermittelt werden.
Durch den extremen Preisanstieg bei Gas sind kohlebasierte Kraftwerke jetzt (4. Quartal 2022) in ihrer Produktion günstiger als Gaskraftwerke, was aber auch daran liegt, dass ihre hohen externen Kosten nur unzureichend berücksichtigt werden.
Die letzte Stufe wird mit den inzwischen extrem teuren Gaskraftwerken erreicht. Für das Gas sei ein Preis von 200 € pro MWh angenommen, wobei vor einiger Zeit nur ein Bruchteil gezahlt wurde. Wenn also die anderen Stromproduzenten alle verplant sind, kommt es zu dem großen Kostensprung durch die Gaskraftwerke (graue Fläche in Abb. 1). Wenn diese eingesetzt werden, wird es für den Verbraucher extrem teuer, weil – wie oben ausgeführt – die Grenzkosten des letzten noch angeforderten Kraftwerks den Preis bestimmt.
Die Biogasanlagen sind leider nicht einzeln aufgeführt, obwohl durch deren Flexibilisierung sehr gut Nachfragespitzen abgefangen werden könnten. Aber die wenig sinnvolle Förderung entlohnt jede Kilowattstunde gleich, unabhängig davon, ob sie verschenkt werden muss (oder sogar Zuzahlungen erfolgen müssen) oder ob sie extrem wertvoll ist wie z. B. in Deutschland um ca. 18 Uhr, wenn die Photovoltaik nachlässt und gleichzeitig die Haushalte ihren Stromverbrauch wesentlich erhöhen..
Die Gaskraftwerke stellen keinen monolithischen Block dar, weil sie sich in ihrem Wirkungsgrad wesentlich unterscheiden, was von der eingesetzten Technik und dem Alter der Kraftwerke abhängt.
Wenn eine Gasturbine mit nachgeschalteter Dampferzeugung (GuD) einen Wirkungsgrad von 55% aufweist, so resultieren – wenn der Erdgaspreis wieder mit 200 € pro MWh angenommen wird – allein für den Brennstoff Kosten von 36,4 Cents pro kWh. Dabei sind die Kosten für das Verteilernetz, die CO2-Abgabe, die Abschreibungen, die Steuern usw. noch gar nicht eingerechnet. Kein Wunder, dass Strom aus Gaskraftwerken zurzeit der teuerste ist. Die hohen Preise werden sich wohl mittelfristig wieder ändern, wenn neue Lieferanten erschlossen wurden. Bereits für 2024 wird ein Preis von unter 100 € pro MWh erwartet.
Wenn der Wirkungsgrad schlechter ist als im obigen Beispiel, weil das Kraftwerk z. B. nur eine Gasturbine ohne nachgeschaltete Dampferzeugung einsetzt, steigen die Kosten nochmals wesentlich.
Da sich Wirkungsgrade, aber auch die Gaspreise sehr unterscheiden, sollen wichtige Kombinationen in der folgenden Tabelle abgebildet werden.

Abb. 2: Brennstoffkosten für Gas für eine elektrische Kilowattstunde in Cents/kWh
Im 4. Quartal 2022 sind die Gaskraftwerke praktisch durchgängig gelaufen, so dass sie aufgrund ihrer hohen Grenzkosten die Grenzkraftwerke darstellen (Marginalanalyse). Wenn die Stromnachfrage zurückgeht, können die gut regelbaren Gaskraftwerke ihre Produktion reduzieren, bei einer Steigerung müssen sie ihre Stromerzeugung erhöhen. Also wird fast jede Änderung zurzeit über die Anpassung in den Gaskraftwerken bewerkstelligt. Aufgrund der limitierten Verfügbarkeit und der sehr hohen Preise der Stromerzeugung mittels Gaskraftwerke müssen die dreckigen Kohlekraftwerke durchlaufen. Einige bereits abgeschaltete müssen sogar reaktiviert werden.
Ein weiterer Grund, warum die Gaskraftwerke viel Strom produzieren müssen, liegt in Frankreich, das auf Atomkraftwerke vertraut. Diese sind aber sehr alt und die Abschaltungen für Wartungen und Fehlerbehebungen häufen sich. Teilweise produziert nur noch die Hälfte voll. Daher geht ein großer Teil des deutschen Stromexports nach Frankreich und führt dazu, dass die Preise in Deutschland noch weiter steigen, weil auch Gaskraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad aushelfen müssen.
Wieder ist der Verbraucher der Dumme. Auch die Umwelt leidet, weil das Verbrennen von Gas zwar im ersten Schritt nicht so dreckig ist wie bei der Kohle. Aber bei der Förderung von Gas entweicht viel Methan.
Dass weiterhin viel Gas aus Diktaturen importiert wird – Habeck hat kürzlich bis 2041 Verträge mit Katar abgeschlossen -, macht die Sache noch schlimmer. Auch scheint ihn nicht zu stören, dass das gekaufte amerikanische Gas durch Fracking gewonnen wird.
4 Einfluss einer höheren Anzahl von E-Autos
Der gleiche Wirkungsmechanismus des Merit Order Verfahrens gilt auch beim Laden der E-Autos. Zusätzliche Stromnachfrage treibt den Strompreis überproportional nach oben, wie es in Abb. 1 abgebildet ist.
Beim Stromverbrauch durch das Laden von E-Autos muss unterschieden werden, zwischen der Strommenge insgesamt und dem genauen Zeitraum, in dem sie gebraucht wird. Der Zeitraum ist wichtig, weil Deutschland es sich auf keinen Fall leisten kann, in den Peak-Zeiten (insb. am Feierabend) noch zusätzliche Verbraucher ans Netz zu bekommen. Das Umweltministerium in Baden-Württemberg hat bereits darauf hingewiesen, dass Blackouts nicht ausgeschlossen werden können (Welt.de 9.12.2022). Die Schweiz plant bereits eine Verordnung, mit der ggf. der Betrieb von E-Autos in bestimmten Situationen verboten werden kann.
Wenn alle Besitzer von E-Autos nach Feierabend ziemlich gleichzeitig laden, kann es zu Problemen kommen. Die zusätzlich benötigte Leistung liegt zwar heute bei den knapp 2 Mio Fahrzeugen (BEV und Plug-in Hybride) per Ende 2022 nur im einstelligen Prozentbereich, aber selbst die hat Deutschland in Peak-Zeiten nicht mehr. Die Politik hat die Annahme getroffen, dass die französischen Atomkraftwerke aushelfen würden…
Bis 2030 soll sich die Anzahl der E-Autos auf 15 Millionen erhöhen, so dass sich die Probleme in den Peak-Zeiten vervielfachen werden.
Bidirektionales Laden
Das Problem, dass sehr viele E-Auto Besitzer gleichzeitig laden wollen, lässt sich allerdings mittelfristig lösen, wenn die Energieversorger die Lade- und Entladevorgänge managen dürfen und können. Der Nutzer gibt dann nur an, wann die Akkus wieder geladen sein sollen (z. B. 6 Uhr morgens). Mit dieser Bedingung kann dann situationsgerecht geladen werden. Noch besser wird es, wenn die Akkus auch noch in das Netz zurückspeisen können. Dieses bidirektionale Laden (BDL) wird sich hoffentlich immer mehr durchsetzen. Die Energieversorger können und werden das mit verbesserten Tarifen fördern.
E-Autos fahren fossil (Marginalanalyse)
In dieser Situation ist festzustellen, dass E-Autos zurzeit ganz überwiegend mit fossilem Strom fahren. Zusätzliche Nachfrage nach Ladestrom wird durch erhöhte Produktion der fossilen Kraftwerke bedient (so lange es geht), verringerte Nachfrage durch Reduktion. In diesem Jahr sind nun hauptsächlich die Gaskraftwerke die Grenzanbieter, nachdem es viele Jahre die Kohlekraftwerke waren. Wie der bis 2041 reichende Gasliefervertrag mit Katar zeigt, geht auch die Politik davon aus, dass dies auch noch in vielen Jahren der Fall sein wird.
Einige E-Auto Fahrer behaupten nun, dass sie von den Problemen nicht betroffen sind, weil sie mit eigener Photovoltaik laden. Das ist aus individueller Sicht zutreffend, hilft aber nicht dem Land. Es dürfte ein Denkfehler vorliegen, weil es durchaus sein kann, dass der Strom besser eingespeist wird. Auch wird dadurch ein Lastenmanagement erschwert, wenn die Photovoltaikanlage nicht in die Steuerung der Region integriert werden kann.
Nur wenn zusätzliche Anlagen nur für diesen Zweck gebaut würden, wäre das Argument akzeptabel.
Gaskraftwerke bleiben wegen Regelbarkeit
Selbst kurzfristig kann es sich lohnen, Gaskraftwerke zu modernisieren, wenn der Wirkungsgrad wesentlich verbessert wird. Die Restlaufzeit kann zwar kurz sein, aber angesichts der extrem hohen Preise kann die Differenz zu einer kurzfristigen Amortisation der Investitionsauszahlungen reichen.
Und selbst wenn irgendwann – weit nach 2030 – der erneuerbare Strom den Großteil der Versorgung im Strommarkt übernimmt – können die Gaskraftwerke als schnell regelbare Kraftwerke einspringen, wenn Wind und Sonne fehlen. Die Voraussetzung besteht darin, dass sich das Preisniveau für Gas bis dahin wieder reduziert hat, was nicht unwahrscheinlich ist durch neue Beschaffungsquellen, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Wasserstoffwirtschaft.
Gas-Kraftwerke sind zudem schwarzstartfähig, das heißt: Sie können zum Beispiel bei einem Blackout ohne externe Energiezufuhr wieder angefahren werden und Deutschland innerhalb weniger Minuten wieder mit Strom versorgen.
E-Autos erhöhen die Strompreise
Da der Ausbau der erneuerbaren Energien nur im Schneckentempo vorangeht und zudem der Strom für andere Zwecke – z. B. Dekarbonisierung der Industrie – eingesetzt werden sollte, wird die fossile Stromerzeugung noch viele Jahre bestehen bleiben. Die Stromnachfrage wird kräftig steigen, so dass im Merit Order-Verfahren die fossilen Kraftwerke weiterhin oder sogar verstärkt eingeplant werden müssen, zumal die Atomkraftwerke wohl zum April 2023 endgültig ausscheiden.
Für den Verbraucher bedeutet dies, dass mit jedem E-Auto (und anderen zusätzlichen Verbrauchern z. B. in der Industrie oder Wärmepumpen) der Strombedarf steigt, was dazu führt, dass auch die sehr teuren fossilen Kraftwerke weiter betrieben werden müssen. Und sie bestimmen damit immer noch den Preis. Etwas überspitzt kann man sagen, dass jedes E-Auto den Schnittpunkt weiter nach rechts verschiebt mit der Folge höherer Strompreise. Selbst wer kein Auto fährt, wird unter der Erhöhung der Strompreise aufgrund des E-Auto-bedingten Mehrverbrauchs leiden.
Die deutsche Energiepolitik gleicht dem Zauberlehrling, welcher die Kontrolle über die vielschichtigen Zusammenhänge verloren hat: Auch im Weltmaßstab höchste Kosten bei hohem CO2 Ausstoß und neuerdings auch der Gefahr von Blackouts.
Dass damit die industrielle Basis in Deutschland gefährdet wird, kann hier nur erwähnt werden.
6 Schlussfolgerungen
Die Politik hat mir ihren Regelungen dafür gesorgt, dass die E-Autos dazu beitragen, dass die Strompreise steigen, worunter auch Nicht-Autofahrer leiden. Kraftwerksbetreiber können sich über extreme Zusatzgewinne freuen, die teilweise auch von Sozialhilfebeziehern bezahlt werden müssen.
Ein weiteres Problem liegt in der sozialen Ungerechtigkeit. Privathaushalte müssen auch über die zusätzliche Abgaben im Strompreis diesen Teil der Energiewende bezahlen. Reichere Haushalte können sich der Finanzierung weitgehend entziehen, indem sie in erneuerbare Energien (Erzeugung und Speicherung) investieren. Zudem profitieren sie von den Prämien des Staates.
Auch die Übernahme einer durchschnittlichen Vorauszahlung für den Strom im Dezember 2022 und die Preisbremsen begünstigen Viel-Verbraucher wesentlich mehr, auch wenn die Beträge zu versteuern sind (vgl. zur Preisbremse Hoberg (2022), S. 1 ff.). Die gleiche Gießkanne wurde für den Tankrabatt verwendet, mit dem unglaublicherweise ein Anreiz zum Mehrverbrauch gegeben wurde.
Die Stromverbraucher müssen aufgrund der Eigenarten von Merit Order auch dann die stark gestiegenen Strompreise bezahlen, wenn sie einen Stromvertrag mit ausschließlich regenerativen Energiequellen haben. Ein Wahnsinn. Man darf gespannt sein, wie lange die Regierung braucht, um diesen Missstand abzustellen.
19. Dezember 2022
Literaturverzeichnis
Chip.de: E-Auto-Verbot in der Schweiz: Auch in Deutschland möglich?, in: https://efahrer.chip.de/news/e-auto-verbot-in-der-schweiz-auch-in-deutschland-moeglich_1010459, Abruf 11.12.2022.
Hoberg, P. (2019): Ermittlung von Energiekosten per LCOE: Darstellung und Weiterentwicklung, in: Der Betrieb, 72. Jg., Heft 18/2019, S. 977-983.
Hoberg, P. (2021): Modifizierte Nutzwertanalyse, in: Wisu, 51. Jg., Heft 2- 2021, S. 181-189.
Hoberg, P. (2022): Das Scheitern von Preisbremsen,in: https://www.controllingportal.de/Fachinfo/Neulich-im-Golfclub/neulich-im-golfclub-das-scheitern-von-preisbremsen.html, 8.11.2022.
Lomborg, B.: Diese Rechnung entzaubert den Mythos vom günstigen Öko-Strom, in: https://www.welt.de/wirtschaft/plus223393548/Kosten-der-Energiewende-Diese-Rechnung-zeigt-Preis-fuer-Oekostrom.html?cid=onsite.onsitesearch, 2.1.2021
Riffreporter vom 30.8.2022: Warum der Strompreis am Gaspreis hängt: Das Verfahren der Merit Order https://www.riffreporter.de/de/umwelt/strompreis-gaspreis-merit-order-ukraine-krieg-atomkraft-grenzkosten-verbraucher-industrie, Abruf am 17.9.2022.
Varnholt, N., Hoberg, P., Gerhards, R., Wilms, S.: Investitionsmanagement – Betriebswirtschaftliche Grundlagen und Umsetzung mit SAP®, Berlin/Boston 2018.
Welt.de: „Abschaltungen für 90 Minuten“ laut BaWü-Umweltministerium „nicht auszuschließen“, in: https://www.welt.de/politik/deutschland/article242588029/ Stromversorgung-Abschaltungen-fuer-90-Minuten-laut-BaWue-Umweltministerium-nicht-auszuschliessen.html, Abruf 9.12.2022.
Wetzel, D.: Phänomen Dunkelflaute – Der Kohle-Ausstieg hielt nur acht Tage, Welt-Online vom 4.3.2021.
Wöhe, G., Döring, U., Brösel, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 27. Auflage, München 2020.
1 Ganz genau erhält man die Grenzkosten, wenn die erste Ableitung der Gesamtkostenfunktion gebildet wird.

