Wo Anna Veronika Wendland ausnahmsweise irrt


Wer von Elektroautofahrern wissen will, ob ihre Fahrzeuge langstreckentauglich sind, kann genauso gut die Betreiber von Balkonkraftwerken nach der Netzdienlichkeit ihrer Stromeinspeisung fragen

Anna Veronika Wendland ist promovierte Historikerin. Ihre Forschungsschwerpunkte ermöglichten ihr, außergewöhnlich fundierte Kenntnisse über die Kernenergie zu erwerben. Nicht nur Rainer Moormann, Experte für Reaktorsicherheit, spricht mit Hochachtung über ihr Fachwissen. Entsprechend souverän tritt sie z.B. auf X den Lobbyisten der nicht bedarfsgerechten Stromerzeugung entgegen.

Für das inhaltlich eng verwandte Thema der E-Mobilität gilt das leider nicht. Zitat aus einem Disput mit Prof. Vahrenholt auf X am 22.12.2024:

Nur eine kurze Anmerkung, obwohl ich anders als bei der Kernenergie mich bei der E-Mobilität nicht so gut auskenne. Aber nach allem, was ich weiß, ist in anderen Ländern das durchaus möglich, dieses Auftankproblem wieder zu individualisieren und das im Grunde über Schnellladezentren zu machen, die direkt ans Hochspannungsnetz gekoppelt sind. … Und in anderen Ländern wird das ganz anders gemacht. Da sagt man, da gibt es halt eine E-Tankstelle und dann fährt man zur Tankstelle genauso, wie man früher zur Tankstelle gefahren ist. Und die Schnellladezentren, die sind dann auch bei Tankzeiten, die durchaus sich mit denen von Verbrennern messen können oder es gibt sogar ein System, das über ein Wechselsystem läuft. Da wäre es eher das Problem, dass man sich auf einen Standard einigen müsste. Das heißt, das sehe ich nicht so als den ganz, wirklich kann man sagen, systemzerschlagenden Faktor.“

Daran stimmt praktisch nichts – außer, dass sie sich mit E-Mobilität nicht so gut auskennt.

Zunächst die Gegenthesen in Kurzform:

  1. Schnellladezentren, die direkt ans Hochspannungsnetz gekoppelt sind, gibt es auch in Deutschland. Der Hauptzweck dieser Kopplung besteht darin, ohne Leistungsabfall mehrere E-Autos gleichzeitig mit (relativ) hohen Ladeleistungen versorgen zu können. Erst in zweiter Linie soll dies zukünftig (ca. um den Faktor 2) höhere Ladeleistungen ermöglichen.
  2. E-Autos werden auch in zehn Jahren noch mindestens um eine Größenordnung langsamer laden als Verbrenner betankt werden können.
  3. In der Vergangenheit sind mehrere Anläufe zur Einführung von Wechselsystemen gescheitert. Zurzeit gibt es zwar wieder neue Projekte, doch noch immer keine kommerziell erfolgreichen Systeme. Die Zukunftsaussichten werden aus guten Gründen überwiegend als schlecht bewertet.

Zu Punkt 1:

Auf die Frage „Gibt es in Deutschland E-Auto-Schnellladezentren, die ans Mittel- oder Hochspannungsnetz angeschlossen sind?“ gaben drei KI-Maschinen etwa dieselbe Antwort:
Der Anschluss von E-Auto-Schnellladezentren an das Mittel- oder Hochspannungsnetz ist in Deutschland Standard, um eine zuverlässige und zukunftssichere Ladeinfrastruktur zu gewährleisten.

Zu Punkt 2:

Das folgende Diagramm zeigt, welche Ladeleistungen erforderlich wären, um die Ladezeit des weltweit meistverkauften Elektroautos, des Tesla Model Y, von derzeit 23 Minuten deutlich zu verkürzen:

In diesem Kontext relevante Fakten:

  • Die Schnellaufladung von 10 auf 80 % dauert beim Tesla Model Y ca. 23 min.
    (Höhere Ladestände zu betrachten, hat keinen Sinn, weil ab 80 % die Ladegeschwindigkeit stark heruntergeregelt wird. So lange warten die Kunden unterwegs nicht.)
    In diesen 23 min gewinnt der Tesla eine Reichweite von 290 km (70 % der vom ADAC ermittelten Gesamtreichweite von 415 km).
  • Ein Diesel der Fahrzeugklasse des Tesla Model Y (z.B. der BMW X3) mit einem 65 Liter-Tank ist in max. 1,3 Minuten vollgetankt. Die damit erzielbare Reichweite beträgt (konservativ gerechnet) 890 km Kilometer.
  • Der Diesel kann also mit vollem Tank dreimal so weit fahren wie der Tesla (sofern man sich auf eine Schnelladung beschränkt, also nur bis 80 % Ladestand lädt).
    Die für den Vergleich relevante Betankungszeit des Verbrenners liegt somit bei 26 Sekunden – aufgerundet seien es 30 Sekunden.

Das ergibt eine um den Faktor 46 längere Ladezeit des E-Autos!

Was wird die Zukunft bringen?

Der Tesla Model Y weist eine maximale Ladeleistung von 250 kW auf. In der Praxis sind es aufgrund der zur Temperaturbegrenzung notwendigen Ladestromregelung nur etwa durchschnittlich 144 kW.
In einigen Jahren soll der Festkörperakku ca. 500 kW ermöglichen. Alle Quellen stimmen darüber ein, dass Festkörperakkus nicht auf eine Ladestromdrosselung verzichten können; diese wird aber wahrscheinlich schwächer als bei konventionellen Akkus ausfallen. Das Verhältnis von Lade- zu Betankungszeit wird demzufolge irgendwo zwischen 46/2=23 (doppelte Leistung bei unverändert starker Drosselung) und 46/4= 11,5 (doppelte Leistung bei Entfall der Drosselung) liegen. Ein Unterschied von mindestens einer Größenordnung wird somit bestehen bleiben.

Könnte ein unerwartet schneller technischer Fortschritt den Unterschied zwischen Lade- und Betankungszeiten rasch abschmelzen lassen?

Das lässt sich nicht völlig ausschließen, es ist aber kaum zu erwarten. Denn bereits der vor zwölf Jahren erschienene Tesla Model S konnte mit 118 bis 150 kW laden.

Das Schnellladen stellt eine große Herausforderung für das Temperaturmanagement der Batterien dar. Die Steigerung der Ladeleistung ist keine triviale Aufgabe. Wunder sind nicht in Sicht.

Zu Punkt 3:

Wechselakkus sind auf den ersten Blick eine reizvolle Idee. Doch es gibt Probleme:

  • Wechselakkus erhöhen die Gesamtanzahl der teuren Akkus. Das erhöht die Gesamtkosten der E-Mobilität wie auch den Bedarf an kritischen Rohstoffen. Dieser Ansatz wird daher von vielen Fachleuten als kaum für den Massenmarkt skalierbar eingeschätzt.
  • Um die Kosten für die Wechselstationen zu minimieren, wäre eine herstellerübergreifende Standardisierung nötig. Doch dazu müsste in einem heiß umkämpften Markt teuer erarbeitetes Knowhow geteilt werden.
  • Die Wechselakku-Gehäuse müssen unabhängig vom Fahrzeug die für beschädigungsfreien Ausbau und Transport nötige Stabilität aufweisen. Das erhöht das Gewicht der Akkus. Zudem können sie nicht in gleichem Maße zur Steifigkeit des Fahrzeugs beitragen wie untrennbar in die Karosserie integrierte Akkusysteme. Dies erhöht das Gewicht der Fahrzeuge.
    Beides zusammen ist v.a. darum kritisch, weil die bei weitem wichtigste automobile Feinstaubquelle längst nicht mehr der Auspuff, sondern der Reifenabrieb ist – der wiederum stark vom Fahrzeuggewicht abhängt.

Die ams fand noch weitere Gründe für Skepsis:

Die Zusammenarbeit von Nio und Geely könnte ein erster Schritt Richtung Antriebsakku-Standards für Elektroautos sein. Fraglich ist allerdings, wie lange Batteriewechsel-Stationen noch Vorteile bringen. … Festkörper-Akkus sind erheblich schneller aufladbar als herkömmliche Lithiumionen-Batterien, sie haben eine deutlich höhere Speicherkapazität und sie sind weniger temperaturempfindlich. Spätestens mit einer großflächigen Einführung solcher Akkus wären Batteriewechselsysteme überflüssig.

Fazit: Alle drei Behauptungen von Anna Veronika Wendland sind schlicht falsch.

Der Gegensatz zu ihrer durchweg professionellen Aufklärungsarbeit über die Kernenergie und über den Angriffskrieg auf die Ukraine ist auffallend groß. Daher habe ich sie direkt kontaktiert und die oben dargelegten Fakten angefügt. Zitate aus ihrer Antwort:

  • Die meisten Menschen beachten, wieviel Tankzeit/Ladezeit ihr Auto benötigt, nicht die Häufigkeit der Tankstopps.“
  • Im Gedächtnis des Alltagsnutzers verbleibt vor allem, wie lang die Ladezeit dauert, wenn man es eilig hat. Daher wird Schnelladen als Lösung angesehen und auch angenommen.“
  • Auch Reichweite scheint im Alltag weniger Rolle zu spielen, als das die Kritiker des E-Autos vermuten.“
  • Da die Technik so immer noch als eine optimale Lösung für das Problem erscheint („Ich will von A nach B“, nicht „ich will x MW im Tank) findet das Schnelladen genug Anhänger.“


Das sind erstaunliche Aussagen.

Zur Erinnerung: 30 Sekunden Tankzeit stehen 23 Minuten Ladezeit gegenüber, um die Energie für 290 km Fahrt aufzunehmen.

Dazu kommt, dass die tatsächlich nutzbaren Reichweiten viel kleiner sind, als z.B. vom ADAC behauptet wird. Da der Ladestand der Akkus stets zwischen 10 (besser: 20) % und höchstens 80 % gehalten werden soll, schrumpft z.B. die ADAC-Ecotest-Reichweite des Tesla Model Y von 415 km auf 250 bis 290 km.

Wer unter einem gewissen Termindruck reisen muss (sei es beruflich oder z.B. aufgrund von Kindern an Bord), für den ist das schlicht keine praktikable Lösung.

Was dabei außerdem gerne ausgeblendet wird, ist der inakzeptable Zwang, die Routen- und Pausengestaltung den Bedürfnissen des Fahrzeugs unterzuordnen. Sollte nicht das Auto dem Menschen dienen?

Anna Wendland hat in ihrer Antwort zwei wichtige Einschränkungen gemacht.

1. „Das ist eine soziotechnische Erklärung.“

Das bedeutet: Sie bestreitet die weiter oben dargelegten technischen Fakten nicht (selbstverständlich nicht; so etwas wäre ihr wirklich wesensfremd).

2. Das ist gefühlte Wahrheit, aber so entnehme ich das Erfahrungsberichten von E-Auto-Fahrern.“

Genau darin liegt der Kern des Problems: Es hängt davon ab, wen man fragt. Und die Antworten müssen zuweilen mit etwas kritischer Distanz betrachtet werden.

Wer sich ein neues Auto gekauft hat, wird praktisch nie zugeben, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben – schon gar nicht, wenn es sich um ein E-Auto handelt.

Das beobachte ich auch in meinem beruflichen Umfeld. Kollegen mit Elektroautos als Dienstwagen verteidigen diese Entscheidung demonstrativ. Bei Dienstreisen sprechen sie aber auffallend oft über die optimalen Lademöglichkeiten entlang der Strecke sowie im oder am Hotel am Zielort. Sie finden es auch völlig normal, bei längeren Fahrten häufig sogar zweimal ausgerechnet dann eine halbe Stunde zu pausieren, wenn weder sie noch ihre Mitfahrer das Bedürfnis nach einer Pause haben. Andere Kollegen, welche die Begeisterung für E-Mobilität nicht teilen, sind irgendwann nur noch genervt und weichen auf andere Verkehrsmittel aus.

Zurück zu Anna Vero Wendland:

Möglicherweise ist ihr nicht bewusst, was sie mit solchen unbedachten und nicht durch recherchierte Fakten untermauerten Äußerungen anrichtet.

Für viele Leser ist sie eine integre Respektsperson. Wenn sie dazu beiträgt, in der öffentlichen Diskussion den Eindruck zu erwecken und zu verfestigen, dass die derzeitigen Schnelllademöglichkeiten nicht nur für E-Auto-Enthusiasten, sondern für die Mehrheit der Autofahrer akzeptabel sind, dann trägt sie de facto zur Verbreitung von Ideologie bei. Damit erleichtert sie es der E-Auto-Lobby, per Gesetz Zwang auf alle auszuüben.
Fakt ist aber: Ein großer Teil der Autofahrer will diese Einschränkungen nicht hinnehmen.

Jeder in die E-Mobilität investierte Euro ist für den Umweltschutz komplett verlorenes Geld. Die E-Mobilität bürdet der Gesellschaft als Parasit hohe externalisierte Kosten auf.
Es gibt auch keinen Grund für die Annahme, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte. Früher oder später wird die Diskussion über die Energieversorgung in den DACH-Ländern die esoterischen Fesseln sprengen. Dann wird man einsehen, dass mehr Wohlstand ohne mehr Endenergieverbrauch nicht möglich ist. Der steigende Energiebedarf der KI-Maschinen ist nur ein Anfang. Man wird zukünftig sehr viel mehr Strom produzieren müssen. Diesen Strom wird man aber nicht für Anwendungen vergeuden, die auf andere Energieträger ausweichen können.
Spätestens dann wird die Idee, Fahrzeuge ihre Antriebsenergie in schweren und ressourcenintensiven Speichern mit sich führen zu lassen, als ideologisch motivierte Verirrung der frühen 2000er Jahre nur noch erstauntes Kopfschütteln auslösen.

Sollte es nicht auch in Vero Wendlands Sinne sein, sich an solcherart Irreführung nicht zu beteiligen?

Die Kopfgrafik wurde mit Grok erzeugt.
Das Diagramm hat der Autor erstellt.

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