Leitfaden zur Erkennung ideologischer Einflüsse auf Stellungnahmen zur Energiewende

Viele Beiträge zur Energie- und Mobilitätswende erheben den Anspruch wissenschaftlicher Objektivität. Bei genauerem Hinsehen stößt man jedoch häufig auf Annahmen und Postulate, die von den Autoren nicht hinterfragt und häufig nicht einmal offengelegt werden.

Beispiele:

1. Ladestrom wird als Durchschnittsstrom bilanziert

Durchschnittsstrom enthält auch knappen Ökostrom. Jeglicher den E-Autos zugewiesener Grünstrom muss anderen Verbrauchern bilanziell entzogen werden; die erhalten dann umso mehr Schmutzstrom. Auf diese Weise werden die tatsächlichen Emissionen der Elektromobilität beschönigt und rechnerisch auf weniger als die Hälfte verringert.

Klimabilanzen des E-Autos mit Durchschnittsstrom-Emissionen betreiben de facto Greenwashing. Mehr dazu dort.

2. Für die Zukunft wird (nahezu) von Energieautarkie ausgegangen

Zurzeit sind 80 % der Primärenergie fossilen Ursprungs. Der größte Teil wird importiert.
Trotz aller postulierten Effizienzsteigerungen ist es völlig unrealistisch, alle Energie zukünftig aus regenerativen Quellen im Inland gewinnen zu wollen. Wer implizit davon ausgeht oder explizit behauptet, Deutschland dürfe zukünftig nicht mehr den größten Teil des Energiebedarfs mit Importen decken, versucht unterschwellig die Botschaft zu platzieren, eine schrumpfende Wirtschaftsleistung sei zum Schutze des Klimas alternativlos.

3. Es werden Postwachstums- oder Suffizienzstrategien propagiert

Eine Drosselung der Energieversorgung zu propagieren, ohne die kontraktiven Folgen für die Volkswirtschaft anzusprechen, ist verantwortungslos.

Dahinter steht der Glaube, man habe in den letzten Jahren zu viel Energie verbraucht.
Doch das ist eine kurzsichtige und makroökonomisch hochgradig gefährliche Betrachtungsweise. Die Dekarbonisierung ist bereits weltweit im Gange. Mit der Sonne steht eine de facto unerschöpfliche CO2-freie Energiequelle zur Verfügung. Dass treibhausgasneutrale Energie in 100 Jahren noch ein knappes Gut sein wird, ist daher äußerst unwahrscheinlich. Zudem wird die Idee, zwecks geringeren Energieverbrauchs die eigene Wirtschaftsleistung zu verringern, bislang nur in wenigen Industriestaaten (und auch dort nur von einer einflussreichen Minderheit) ernsthaft diskutiert. Doch dabei handelt es sich um eine regionale Anomalie, denn der größte Teil der Weltbevölkerung lässt sich nicht von dem Weg abbringen, der Mehrung des eigenen Wohlstands Vorrang einzuräumen.

4. Effizienzen werden selektiv betrachtet

Die zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft verfügbaren Ressourcen sind beschränkt. Zugleich soll das Maximum an Einsparung erzielt werden. Wirkungsgrade sind daher wichtig – entscheidend ist jedoch die Effizienz des Gesamtsystems.

Der Wirkungsgrad von Teilsystemen (z.B. vom Windrad bis zum Antriebsmotor eines E-Autos) geht natürlich in die Kostenrechnung ein, ist aber mit vielen anderen Faktoren in einen größeren Zusammenhang zu stellen.

Beispiel Synfuels und Wasserstoff: Diese lassen sich nur unter großen Verlusten produzieren. Sie aus diesem Grund zu verwerfen erscheint indes voreilig:

  • Zur Absicherung vor Dunkelflauten und zur Versorgung der Industrie wird man davon in jedem Fall große Mengen benötigen. Skaleneffekte werden diese Energieträger kostengünstiger machen.
  • Die Warnung, knapper deutscher Ökostrom dürfe dazu nicht vergeudet werden, ist irreführend, weil in Deutschland aus EE ohnehin keine ausreichenden Mengen erzeugt werden können. Die Produktion wird in wind- und/oder sonnenreicheren Regionen erfolgen müssen. Dort jedoch erreichen dieselben Windräder und PV-Anlagen mehrfach höhere Durchschnittsleistungen als hierzulande.
  • Kostensenkend wirkt sich ferner aus, dass die vorhandene Infrastruktur für Transport und Weiterverarbeitung der Rohölprodukte zum großen Teil weiterverwendet werden kann.

Mehr dazu z.B. hier:
Ein gesamtheitlicherAnsatz für die Effizienzbewertung von Technologien

Oder dort:
Der Weg hin zu einer CO2-armen Mobilität

Entscheidend ist nie allein der Wirkungsgrad; mindestens ebenso wichtig ist die Kosteneffizienz. Darüber kann nur mit Hilfe von Ökonomen sinnvoll diskutiert werden. In einem überaus lesenswerten Artikel in der WELT beziffert Joachim Weimann die Subventionen je E-Auto in der Summe aller Begünstigungen auf insgesamt 20.000 Euro – und benennt die Folgen:

„Wenn wir sehr optimistisch unterstellen, dass damit eine Ersparnis von zehn Tonnen CO2 erreicht werden kann, bedeutet das, dass die Kosten pro Tonne 2000 Euro betragen. Im Emissionshandelssektor ist der Preis für eine Tonne CO2 (der den Grenzkosten der Vermeidung entspricht) gerade auf 50 Euro gestiegen. Über den Daumen ließen sich also für die Kosten einer Tonne im Verkehrssektor 40 Tonnen im Emissionshandelssektor einsparen.“

Das Urteil des BVG kommentiert er daher vernichtend:

„Das Urteil versperrt den Weg zu einer rationalen Antwort auf die Herausforderung des Klimawandels und ist deshalb eine Katastrophe für den Klimaschutz. Es maximiert die Lasten aller Generationen und beschädigt die Reputation des BVerfG. Das Schlimmste ist, dass man ihm genauso wenig entgehen kann wie einer Naturkatastrophe. Wir werden den Tsunami über uns ergehen lassen müssen und danach sehen, was noch übrig geblieben.“

Wer ganzheitliche Betrachtungen unterlässt und die Bedeutung der Kosteneffizienz verkennt, der sucht de facto nicht nach Wegen zur Senkung der Treibhausgasemissionen, sondern zur Abschaffung der einen und Durchsetzung anderer Technologien. Das Ergebnis sind Behauptungen wie diese der Scientists For Future: „Außerdem ist ein schneller Umbau des Verkehrs auf die besonders effiziente direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien sinnvoll.“

5. „Alles möglichst sofort machen, wir können nicht länger warten“

Ein Verfechter dieser Position ist z.B. Prof. Wietschel v. Fraunhofer-Institut ISI. Zitat: „Alle relevanten Maßnahmen müssen zeitgleich umgesetzt werden, ansonsten werden die gesetzten Politikziele zur Treibhausgsminderung deutlich verfehlt…“

Eine Umstellungsmaßnahme ist im Hinblick auf die Klimablanz sinnvoll, wenn sie die Treibhausgasemissionen netto senkt. Neue Produkte wie E-Autos oder Wärmepumpem müssen mehr CO2-Emissionen einsparen, als sie aufgrund ihres eigenen, zusätzlichen Stromverbrauchs verursachen.
Dabei ist stets die Fossilstromsubstitution als mögliche Verwendung von Strom aus EE zu berücksichtigen. Studien, die dieses Faktum ignorieren, sind wissenschaftlich wertlos; Maßnahmen, welche die Emissionen nicht verringern oder sogar erhöhen, sind verfrüht.
Autoren wie Wietschel möchten augenscheinlich ein dieser Bilanz übergeordnetes Bewertungskriterium einführen. Was in der Klimapolitik als sinnvoll erachtet wurde (von wem auch immer), soll sich dieser Prüfung entziehen und nicht mehr infrage gestellt werden dürfen.

Ein Ergebnis dieses Ideologems ist z.B. die Forderung, das E-Auto einzuführen, bevor der Marginalstrom grün ist – mit der Konsequenz steigender THG-Emissionen.

6. Reale Emissionen verschwinden rechnerisch im Nirwana

Zusätzliche Stromverbraucher wie E-Autos können angeblich keine höheren Emissionen verursachen, weil diese im Rahmen des Europäischen Emissionshandels für den Stromsektor gedeckelt seien.
Doch das beruht auf einem gedanklichen Taschenspielertrick mit dem Ziel, reale Emissionen durch kreative Bilanzierung scheinbar im Nichts verschwinden zu lassen. Kein Emissionshandelssystem dieser Welt hat jemals eine Deckelung im Sinne einer tatsächlichen, harten Begrenzung geleistet, und wegen der damit verbundenen, schweren volkswirtschaftlichen Störungen wird es hoffentlich auch in Zukunft niemals dazu kommen.
Denn eine tatsächliche Deckelung gäbe es nur, wenn gar keine Zertifikate mehr angeboten würden. Vorher jedoch würde der Zertifikatepreis durch die Decke schießen. Die volkswirtschaftlichen Folgen wären dramatisch: Kein einziges, wider Erwarten expandierendes Unternehmen könnte dann noch seine Produktion ausweiten. Die Wirtschaft würde stranguliert werden.

Heiner Flassbeck meinte dazu im Wirtschaftsmagazin MAKROSKOP, es sei naiv

„zu glauben, man könne der Marktwirtschaft ein CO2 Mengenkorsett verpassen, ohne enorme Verwerfungen in Form von dramatischen Preisschwankungen und – bei stetig rückläufiger Menge der Zertifikate – vor allem Preissteigerungen zu bekommen. Und es ist auch unendlich naiv zu glauben, diese Preissteigerungen, die ja letztlich von den demokratischen Staaten verantwortet werden müssen, würden von der Gesellschaft und den Marktteilnehmern einfach so hingenommen … der Druck auf die Regierungen, mit zusätzlichen Zertifikaten die Preisausschläge in Grenzen zu halten, würde ins Unermessliche wachsen.“

Tatsächlich beginnt die Deckelung heute schon (bei einem erst allmählich steigenden CO2-Preis) zu versagen:

(Mehr zu diesem Thema dort: Dank Deckelung kein CO2-Ausstoß von Elektroautos?! )

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