Nachhilfe für E-Auto-Fans: Der Marginalmix im globalen Lockdown

Elektroautofans sind zu beinahe allem bereit, um eine einfache Tatsache zu leugnen. Unter keinen Umständen wollen sie anerkennen, dass zusätzliche Stromnachfrage generell von regelbaren Kraftwerken zu decken ist – weil sie die logische Schlussfolgerung fürchten, dass Elektroautos fast ausschließlich mit Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken fahren.

Diese Zusammenhänge möchte ich hier nicht noch ein weiteres Mal erläutern. Lassen wir diesmal doch andere sprechen. Es folgen (kursiv gesetzte und ins Deutsche übersetzte) Zitate von einer Website der International Energy Agency. Darin geht es um die weltweiten Veränderungen des Strommixes im Jahre 2020. Die globale Bilanz ist eindeutig:

In allen großen Regionen hat sich der Strommix nach den Abschaltmaßnahmen aufgrund der gesunkenen Stromnachfrage, der niedrigen Betriebskosten und der Vorrangsregelungen in Richtung erneuerbare Energien verschoben. Mit der Lockerung der Sperrmaßnahmen kehrten die Stromnachfrage und der Strommix zu den vorherigen Trends zurück.“

(Die Hervorhebungen wurden nachträglich hinzugefügt)

Zwischen den weiteren Zitaten folgen Anmerkungen von mir (nicht kursiv gesetzt):

In den USA blieb Erdgas seit März die führende Stromquelle, während erneuerbare Energien den Beitrag von Kohlekraftwerken bei weitem übertrafen, als die ersten Maßnahmen zur Eindämmung in Kraft traten und die Nachfrage zurückging.“

Das bedeutet: Sinkt die Nachfrage, wird weniger Kohlestrom produziert.

Im Juni, als die Strenge der staatlichen Maßnahmen nachließ, festigte Erdgas seine führende Position. Im Juli und August liefen Kohle- und Kernkraftwerke auf Hochtouren, um auf die steigende Nachfrage zu reagieren.“

Steigt die Nachfrage, wird mehr Kohlestrom produziert.

„Im August war die gesamte Stromerzeugung viel höher als 2019 im gleichen Zeitraum, da die Temperaturen höher waren, und dieser Anstieg der Nachfrage wurde durch die steigende Kohle- und höhere Winderzeugung befriedigt.“

Mehr Nachfrage, mehr Kohlestrom.

„Im September führte ein signifikanter Temperaturrückgang zu einem Rückgang des Kühlbedarfs und der Gesamterzeugung auf ein niedrigeres Niveau als 2019, was insbesondere die Kohleverstromung betraf.“

Weniger Nachfrage, weniger Kohlestrom.

Weiter geht’s mit Indien:

„In Indien verringerte sich der Abstand zwischen Kohle und erneuerbaren Energien nach den ersten Abregelungsmaßnahmen deutlich, wobei die erneuerbaren Energien Mitte August knapp über 30 % erreichten.“

Weniger Nachfrage, weniger Kohlestrom.

Ab Ende August begann sich die Lücke wieder zu vergrößern und folgte damit dem saisonalen Trend. Ende November lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix bei knapp unter 20 % und damit auf dem Niveau von Anfang des Jahres vor Covid19.“

Mehr Nachfrage, mehr Kohlestrom.

Nun zu China:

In China kam es im Zuge der sinkenden Stromnachfrage zu einer starken Reduzierung der Kohleverstromung.“

Noch Fragen?

„Mit der schrittweisen Aufhebung der Abschaltmaßnahmen ab der zweiten Märzhälfte erholte sich der Kohleanteil leicht, während die erneuerbaren Energien einen hohen Anteil im Mix beibehielten. … Im November, als die Stromerzeugung aus Wasserkraft aufgrund von saisonalen Einschränkungen und stärkerer Nachfrage zurückging, stieg der Anteil der Kohle wieder an.“

Mehr Nachfrage, mehr Kohlestrom.

Didaktisch wertvoll sind auch Kurven wie diese (Electricity mix in India):

Die Anteile von Kohle und Erneuerbaren verlaufen nahezu gegenläufig: Was die Erneuerbaren mehr erzeugen können, nehmen sie der Kohle ab; man spricht dann von „Verdrängungsstrom“.
Viel wichtiger aber ist dies: Wird weniger Strom benötigt, dann sind es nicht die Erneuerbaren, die ihre Stromproduktion drosseln – sondern die Kohlekraftwerke!

Verdrängungsstrom und Zusatzstrom sind verschiedene Arten von Marginalstrom. Der Marginalstrom wird von den Kraftwerken produziert (oder bei Drosselung nicht produziert), die es ermöglichen, die Stromproduktion an den schwankenden Bedarf anzupassen. Vor allem fossile Kraftwerke können das. PV-Anlagen und Windräder können es nicht.

Das, liebe Elektroautofans, bedeutet zugleich:

  • Würde die Ladestromnachfrage ganz entfallen, so würden vor allem fossile Kraftwerke entsprechend heruntergeregelt werden – die schmutzigsten zuerst, also die mit Kohle betriebenen.
  • Steigt hingegen die Ladestromnachfrage (z.B. aufgrund von mehr Elektroautos), dann wird dieser Zusatzstrom überwiegend fossil erzeugt.

Im Unterschied etwa zu Kühlschränken sind Elektroautos durchaus entbehrlich. Sie schaffen vom Staat künstlich hervorgerufene, da bewusst herbeisubventionierte Nachfrage nach zusätzlichem Strom. Theorie und Empirie bestätigen, dass es sich dabei überwiegend um Strom aus Kohlekraftwerken handelt.
Etwas anderes zu behaupten ist Greenwashing.

P.S.

Zur Vorstellung, man könne doch einfach speziell für Elektroautos mehr Ökostrom erzeugen, zitiere ich aus meinem Buch:

Wieviel Zuwachs an EE-Kapazität es unter anderen Bedingungen gäbe (z.B. keine staatliche Förderung von Elektromobilität, jedoch stärkere Förderung von Solarstrom) ist nicht bekannt; es könnte auch mehr sein (wenn etwa mehr Geld in Stromerzeugung statt Stromverbrauch durch Elektroautos investiert wird)
Zu behaupten, die erneuerbaren Energien würden mit und dank der E-Autos beschleunigt ausgebaut, ist ein Pseudo-Argument. Tatsächlich wurden die bisherigen EE-Kapazitäten durch direkte Förderung und unabhängig von der Entwicklung der Elektromobilität aufgebaut; nichts deutet darauf hin, dass dies bei zukünftigen EE-Erweiterungen anders sein wird.“

Foto von Jeswin Thomas: https://www.pexels.com/photo/man-writing-on-table-3380743/


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